Interview mit Marco Prey zum Thema: „Einführung in das Thema Taktiken“

Im 4. Interview soll es um das Thema Systeme gehen. Wenn man sich als basketballfremder Zuschauer ein Saisonspiel beispielsweise im TV anschaut, dann verstehen viele Zuschauer meistens kaum die Regeln, noch erkennen sie, welch großes taktisches Repertoire jedes Team mit sich bringt. Wie der Weg zu den Systemen für ein Team ist und ab welcher Altersklasse man überhaupt versucht, mit Systemen zu beginnen, wird uns Marco Prey in einem Interview wieder versuchen näher zu bringen.

Martin: Hallo Marco, du hast nun insgesamt zehn Jahre in der ersten und zweiten Regionalliga Training gegeben. Wie viel Wert hast du auf Taktiken gelegt?

Marco: Hallo Martin. Als ich noch in der Oberliga coachte, habe ich nicht so viel Wert auf Taktiken gelegt, da waren Attribute wie Schnelligkeit, eine bessere Schussquote usw. noch ausreichend, um Spiele zu gewinnen. Sicherlich hatten wir da auch ein paar Systeme, aber bei Weitem nicht so viele wie in der Regionalliga. Doch je höher wir in der Ligahierarchie kamen, desto wichtiger wurden Taktiken für uns. Mein Team war nie sonderlich groß gewachsen und Attribute wie Schnelligkeit, Kondition usw. liegen immer dichter beieinander, je höher man spielt. Insofern machte es für uns Sinn sehr viel auf Taktiken zu setzen und im Prinzip nichts dem Zufall zu überlassen. In der 1. Regionalliga hatten wir insgesamt ca. 30 Taktiken, wenn man die Setplays, Einwurfsysteme, Defensevarianten und Pressbreaks zusammenrechnet. Durch die Taktiken unterschieden wir uns von unseren Gegnern und hatten somit einen kleinen Vorteil, mussten aber auch einen kleinen Kader und mangelnde Körpergröße kompensieren. Wir waren sehr schwer zu scouten, weil wir nicht das Glück hatten (wenn man nicht berücksichtigt, dass Basketball ein Teamsport ist), zwei oder drei Leute zu haben, die dann im One on One immer die Punkten erzielten.
Von daher führten die Taktiken dazu, dass bestimmte Abschlüsse für bestimmte Spieler möglich wurden, die ohne ein System nicht in der Lage gewesen wären, sich diesen selber zu erarbeiten. Was ja eigentlich auch nicht Sinn und Zweck des Sports Basketball ist, aber dennoch oft vorzufinden ist.
Martin: Okay, und ab welcher Altersklasse würdest du anfangen Taktiken zu trainieren? Ab wann macht es Sinn?
Marco: Mit Taktiken anzufangen macht immer dann Sinn, wenn es dem Team hilft. Erzielt man mit Taktiken einen größeren Erfolg als ohne sie, dann ist es sinnvoll. Das bedeutet, dass man als Coach sein Team genau kennt und abwägen kann, welcher Weg sinnvoller ist. Normalerweise werden Taktiken ja erst in höheren Ligen gespielt und das aus drei Gründen.
Wenn wir an die 1. BBL denken, dann müssen ca. 10 eingekaufte Leute, die sich nicht kennen, innerhalb der Saisonvorbereitung von im Schnitt 10 Wochen zu einem Team zusammenwachsen. Und das bedeutet auch, dass die miteinander spielen können. Darauf zu warten, dass die Leute sich so gut kennen, dass man intuitiv spielen kann oder mit wenigen Vorgaben, würde viel zu lange dauern. Also setzt man Systeme ein. Ein weiterer Grund ist der, dass in höheren Ligen die individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Spieler sich fast aufheben. Auf jeden Fall wird es nicht wie in der Jugend sein, wo ein talentierter Spieler z.B. auf Grund seiner Schnelligkeit immer in der Lage sein wird, alleine zum Korb zu ziehen. Die Spieler in höheren Ligen heben sich in ihren Eigenschaften meist auf, insofern machen die Taktiken dann den Unterschied.
Und der letzte, wichtige Grund ist, dass man mit Hilfe von Taktiken die Stärken bestimmter Spieler besser hervorheben kann, als ohne Taktiken. Ich möchte aber gerne nach diesem kleinen Exkurs zur eigentlichen Frage zurückkommen. Wenn wir Taktiken als eine relativ statische Abfolge von Pässen, Bewegungen usw. unabhängig von der Anzahl der einzelnen Elemente definieren, dann wäre ein simples Pick & Roll schon eine Taktik. Davon ausgehend, dass es sich hierbei um eine Taktik oder ein kleines System handelt, würde ich sagen, dass es Sinn macht, ab der U14 mit Taktiken zu beginnen. Wobei das natürlich mit absoluter Vorsicht zu genießen ist! Wenn ein Team erst in einer U14 gegründet wurde, dann stehen andere Aspekte im Vordergrund. Die Spieler sollten schon ca. fünf Jahre Basketball spielen und bestimmte Basics verinnerlicht haben. Anders formuliert könnte man auch sagen, es macht dann Sinn mit Taktiken zu beginnen, wenn Attribute wie Schnelligkeit und eine bessere technische Ausbildung nicht mehr Spiel entscheidend sind. Das kann bei dem einen oder anderen Team auch schon recht früh der Fall sein. Denn immer wenn ein Team Nachteile kompensieren muss, dann muss es auch was haben, womit es diese kompensieren kann. Das könnten auch Taktiken sein. Unabhängig von den oben beschriebenen Gründen sollten die Spieler aber irgendwann Taktiken erlernen, weil es den Basketball-IQ fördert und das Verständnis für diesen Sport.

Martin: Wenn ich nun mit Taktiken beginnen möchte, wie finde ich dann heraus, welches System zu meinem Team passt? Wie kann ich das herausfinden?

Marco: Ich würde mit ganz einfachen „Taktiken“ beginnen. Um z.B. in der U10 oder U12 die Bildung von Spielertrauben zu vermeiden, würde ich mit einer „5 out“ beginnen. In den ersten Trainingseinheiten wird man genug damit zu tun haben, dass sich die Spieler richtig aufstellen und sich nur den Ball gegenseitig zupassen. Wenn sie das aber mal verstanden haben, dann ergeben sich für den Einzelnen gute Möglichkeiten zum Korb zu ziehen, da ihm keiner seiner z.B. eigenen Mitspieler mehr im Weg steht.
Auch ein kleines Einwurfsystem in jungen Jahren kann schon Wunder bewirken. Wenn es sich um solch relativ einfachen Systeme handelt, dann würde ich mich so weit vorwagen und behaupten, dass man das mit jedem Team machen kann.
Wenn dann komplexere Taktiken eingeführt werden sollen, dann kann man es einfach nur ausprobieren, wenn man nicht über einen immensen Erfahrungsschatz verfügt und das Team auch schon mit Systemen vorbelastet ist, sprich Kenntnisse im Durchführen von Systemen hat.
Ich kann immer nur dazu raten ganz einfach zu beginnen. Es bringt nichts ein System zu spielen, weil es cool ist oder ähnliches. Das System soll in der Saison auch einen Nutzen erfüllen und das wird nur dann der Fall sein, wenn man es ausreichend übt, die Spieler es alle verstanden haben und fast intuitiv (ohne weiteres Nachdenken) mit Game-Speed durchlaufen können.
Martin: Wie viel Zeit des Trainings würdest du in Taktiken investieren und wie integrierst du sie in das Training?

Marco: Die Frage ist dabei natürlich auch immer wie viel Zeit steht mir als Coach und meinem Team insgesamt zur Verfügung? Wenn ich nur zwei Einheiten pro Woche á 90 Minuten habe, dann bin ich in meinen Möglichkeiten sehr limitiert. Und wichtige Aspekte, wie Schusstraining und andere Trainingsinhalte gehen immer vor. Es bringt mir ja nichts ein Team zu haben, dass nicht die Kondition hat, das ganze Spiel über durchzulaufen oder dann die daraus entstehenden freien Würfe nicht trifft, weil zu viel Zeit beim Schusstraining eingespart werden musste.
Also es muss erst mal gewährleistet sein, dass alle anderen wichtigen Trainingsinhalte trainiert werden können und dann kann ich mich den Taktiken widmen. Bei oben genanntem Szenario würde ich ca. 10-15 Minuten pro Trainingseinheit auf Taktiken verwenden, auf gar keinen Fall mehr. Und in 10-15 Minuten kann ich vielleicht drei bis vier Systeme durchlaufen lassen, korrigieren usw. Wenn man wie wir pro Woche 6 Stunden Training hatte, dann stehen einem natürlich andere Möglichkeiten zur Verfügung. Wir haben ca. 1,5 Stunden pro Woche auf das Üben von Taktiken verwendet. Wobei das natürlich das ständige Durchlaufen, anpassen auf den Gegner usw. beinhaltet. Oftmals haben wir auch nur einzelne Abschnitte eines Systems geübt. Ich habe die Systeme manchmal im 5 gegen 0 Full Court von einer Seite zur anderen Seite als Warm-up durchlaufen lassen oder im 5 gegen 5 mit bestimmten Vorgaben und einem definierten Zeitrahmen. Teilweise haben wir auch einzelne Aspekte im 3 gegen 3 oder 2 gegen 2 geübt. Das hing auch damit zusammen, wie viele Leute beim Training waren und ob Systeme Fehler aufwiesen und einer genaueren Betrachtung / Verbesserung unterzogen werden sollten, oder nur als Routine durchlaufen werden sollten.

Martin: Bei Systemen denken die Meisten immer an Set-Plays für die normale Offense, aber es gibt ja noch andere Systeme wie beispielsweise Einwurfsysteme, durch die man zu Punkten kommen kann. Wie wichtig findest du Einwurfsysteme? Gibt es eigentlich effektive Einwurfsysteme gegen eine Zonenverteidigung?

Marco: Einwurfsysteme finde ich sehr wichtig. Man hat eine einmalige Chance von einer guten Position aus direkt zum Korb zu kommen und schnelle Punkte zu erzielen. Bedauerlicherweise vergeben viele diese Chancen, indem sie den Ball einfach nur einwerfen und sich dann lieber 20 Sekunden in der Offense abmühen, statt mit einem guten Einwurfsystem in 2-3 Sekunden zum Erfolg zu kommen.
Daher hatten wir auch insgesamt sechs Einwurfsysteme. Drei gegen Manndeckung und drei gegen Zone. Im Schnitt haben wir pro Spiel ca. acht Punkte aus diesen Situationen erzielt.
In der Tat sind effektive Einwurfsysteme gegen eine Zone schwieriger, als gegen eine Manndeckung, aber auch gegen die Zone gibt es gute Einwurfsysteme mit einem hohen Wirkungsgrad. Das folgende System haben wir auch in der 1. Regionalliga mit viel Erfolg gespielt:

Einwurfsystem gegen Zone (Verlinkung auf PDF Datei)

Martin: Welchen Unterschied gibt es zwischen Taktiken in der Bundesliga und Taktiken in zum Beispiel der Oberliga?

Marco: Die Systeme in der Oberliga (wenn da denn welche gespielt werden) unterscheiden sich sowohl qualitativ als auch quantitativ von denen in der Bundesliga. Angesichts der Stärke der Spieler, der Trainingszeit und dem Verständnis für Basketball aber kein Wunder. Ich möchte dazu ein einfaches Beispiel anführen, um den Unterschied deutlich zu machen und das ist die Blockverteidigung in der Manndeckung.
Während in der Oberliga die Spieler den Block auf eine vorher festgelegte Art und Weise verteidigen (persönliche Anmerkung: und selbst das funktioniert nicht immer richtig), ist in der Bundesliga entscheidend, welcher Spieler den Ball hat und wo der Block gestellt wird. Bei einem High-Screen Pick & Roll, das drei bis vier Meter oberhalb der Dreierlinie stattfindet, wird der geblockte Spieler immer unter dem Block langgehen und so den Spieler mit Ball auf dem Weg zum Korb abfangen können.
Die Wahrscheinlichkeit, dass der Spieler mit Ball hinter den Block abstoppt und wirft, ist aus dieser Entfernung äußerst gering. Findet eben diese Situation aber auf Höhe der Dreierlinie statt und der Blocknutzer ist ein Spieler, der auch gut werfen kann, so wird mit einem Switching oder Hedge & Back verteidigt, um auch den Wurf zu verhindern. Wird der Block nun auf dem Flügel an der Dreierlinie gestellt, so reagieren einige Teams mit einem Hedge & Trap darauf, da sie mit Hilfe der Seitenlinie den ballführenden Spieler dort gut doppeln können. Allein an diesem Beispiel sieht man, dass das taktische Repertoire ein ganz anderes ist, als in einer Oberliga. Die Spieler müssen abhängig von Gegenspieler und dem Ort schnell miteinander kommunizieren und die richtige Blockverteidigung anwenden. Das zieht sich dann natürlich durch alle anderen Systemen fort.
Martin: Nun noch eine letzte Frage. Wie komme ich zu meinem eigenen System? Sollte ich Bücher oder DVD´s zur Hilfe nehmen? Wie machst du das?

Marco: Zu seinem wirklich eigenen System kommt man, in dem man sich hinsetzt und sich sein eigenes System ausdenkt. Das ist aber nicht nötig und Bedarf auch sehr viel Vorwissen. Es gibt ausreichend Literatur, DVD’s und auch Websites, die Systeme anbieten. Da sollte man als interessierter Coach ein wenig drin rumstöbern und schauen, ob man etwas findet, von dem man sich vorstellen kann, dass es auf sein eigenes Team passt. Ich kann hier noch empfehlen doppelt so viele Systeme auszuwählen, wie man eigentlich braucht, um die Besten dann zu übernehmen. Viele Systeme sehen erstmal gut aus und man kann sich ohne Weiteres vorstellen, dass sie für das eigene Team passen, bis man dann in der Halle ist und es ausprobiert… Aber das sollte einen nicht entmutigen. So etwas passiert einem immer wieder. Mit mehr Erfahrung zwar weniger häufig, aber man liegt immer mal wieder daneben. Wichtig ist es auch, die Systeme relativ schnell im 5 gegen 5 auszuprobieren. Manches funktioniert 5 gegen 0 fabelhaft und stellt das Team im 5 gegen 5 vor unlösbare Probleme. Ich lasse mich durch Coaches-Clinics in den U.S.A., bei denen Coaches der NCAA 1st Div. als Referenten auftreten, inspirieren. Wenn ich ein System sehe, das ich gebrauchen kann, dann ändere ich es auf die Bedürfnisse meines Teams ab und schon habe ich ein System für mein Team gefunden. Es kommt aber auch vor, dass ich ein System komplett neu entwerfe. Das ist aber eher selten der Fall. Auch wenn ich das in meiner Freizeit ab und an mal als Herausforderung mache. Das ist dann aber eine geistige Spielerei und nicht für die Praxis gedacht.

Martin: Vielen Dank für das Gespräch. Dann werde ich mal versuchen, mein eigenes System zu entwerfen (schmunzel). Ich freue mich schon auf das nächste Interview.

Marco: Ich danke auch und freue mich auch auf das nächste Interview.

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