Martin: Hallo Marco, beim heutigen Thema geht es mehr oder minder nur um eine Position. Ich tendiere aber stark dazu Center und Power Forwards in einem Atemzug zu nennen. Einverstanden?
Marco: Hallo Martin, ja ich denke das ist vertretbar. Sicherlich unterscheiden sich die beiden Positionen noch voneinander, aber ich denke auch, dass wir bei diesem Thema ruhig beide Positionen meinen können, wenn wir von Centern reden. Immerhin haben sich beide Positionen mehr oder weniger stark verändert. Ansonsten können wir ja explizit die Position nennen, wenn wir eine hervorheben wollen.
Martin: Ok, dann starten wir mal. Wenn ich an die 80er Jahre denke, dann fallen mir Spieler wie Kevin McHale, Robert Parish, Kurt Rambis oder Bill Laimbeer ein (Anmerkung: Spielten alle in der NBA). Gibt es solche Center heute noch?
Marco: Du meinst sicherlich die Art und Weise wie sie in das Spiel eingebunden wurden und wie sie ihre Position spielten?
Martin: Ja, genau.
Marco: Ich würde nicht sagen, dass es solche Spieler gar nicht mehr gibt, aber sie sind sicherlich fast schon eine Ausnahme im Basketball geworden. Wobei Bill Laimbeer auch schon als Center z.B. recht gut Dreier werfen konnte. Ich würde sagen, dass er einer der ersten war, die ihren Wirkungskreis in Korbnähe verlassen haben und das nicht nur zum Pick & Roll an der Dreierlinie.
Martin: Ich habe in den letzten 10 bis 20 Jahren immer mehr beobachtet, dass die Center – im Gegensatz zu früher – immer öfter an der Dreierlinie agieren. Erst zum Blöcke stellen, dann auch zum Werfen und als Passgeber. Ist das ein Attribut des immer schneller werdenden Spiels?
Marco: Sicherlich hat, durch die Verbesserung der Athletik und das schnellere Spiel, dies auch dazu beigetragen. Vielleicht war das auch der ausschlaggebende Aspekt oder es ist ein Trend. Das vermag ich nicht zu beurteilen. Ich denke jeder Coach wird da auch eine eigene Meinung zu haben, die nicht unbedingt deckungsgleich mit der Masse ist. Aber ich vermute, dass es Ersteres ist. Wer stellt schon einen „80er Jahre Brett-Center“ an die Dreierlinie und lässt ihn werfen?
Martin: Wie war das in deinem Team? Durften deine Center an die Dreierlinie, sollten sie auch Dreier werfen? Wie hast du sie eingebunden?
Marco: Rein von der Länge her hatte ich keine Center. Ich hatte aber zum Glück Spielerinnen, die diese Position spielen wollten und hart an sich gearbeitet haben, um diese Position ausfüllen zu können. Unsere Systeme sahen auch vor, dass die Center zum Passen oder auch zum Eins gegen Eins an die Dreierlinie kamen. Das Eins gegen Eins war aber darauf basierend, dass die Verteidigung einen Fehler machte und es sich so ergab. Keiner der Center stand an der Dreierlinie, um primär Eins gegen Eins zu spielen. Da meine Center aber meist schneller waren als ihr Pendant, bot sich das des Öfteren an. Dreier werfen durfte von den Centern keine. Da hatte ich etliche Spielerinnen, die Shooting Guard spielten und eine erheblich bessere Quote hatten. Und wir hatten auch nicht die Zeit im Training die Center auch noch pro Trainingseinheit 100 Dreier werfen zu lassen. Und es entspricht auch nicht meiner Philosophie oder Vorstellung von Basketball, dass Center Dreier werfen.
Immerhin sind damit ja nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile verbunden.
Martin: Da muss ich mal einhaken. Das ist ein guter Punkt. Wo siehst du die Vor- bzw. Nachteile von Centern, die an oder in der Nähe der Dreierlinie agieren?
Marco: Naja, die Vorteile sind ja recht offensichtlich. Center an der Dreierlinie werden meist nicht hart verteidigt. Das heißt, dass sie den nötigen Raum zum Werfen haben. Die meisten Verteidiger auf der Centerposition gehen oft noch davon aus, dass der Center von da nicht wirft oder zumindest eine schlechte Quote hat. Zumindest aber eine schlechtere als ein Shooting Guard. Also lassen manche Verteidiger den Center absichtlich an der Dreierlinie frei, damit er von da wirft. Der Grund ist simple Arithmetik und von den Coaches einkalkuliert. Ich lasse lieber einen Center mit einer Quote von z.B. 15% werfen, als dass ein Shooting Guard den Wurf nimmt, der z.B. eine Quote von 35% jenseits der Dreierlinie hat.
Sollte ein Center an der Dreierlinie agieren, der nicht oder nur schlecht Dreier wirft, dann kann sich der Verteidiger auch 2-3 Meter zurückfallen lassen und damit die Zone besser covern. Cutter können dann vom Center an der Dreierlinie erheblich schlechter angepasst werden.
Wenn ein Center aber gut Dreier trifft, dann zieht er einen großen Verteidiger aus der Zone raus und der dadurch entstehende Platz kann für Cuts oder Missmatches auf den kleineren Positionen genutzt werden. Allerdings fehlt dadurch auch ein langer Spieler für den offensiven Rebound. Sollte der Center dann auch noch ein bisschen schneller sein als sein Verteidiger, könnte er auch noch im Eins gegen Eins zum Korb ziehen. Das sieht man allerdings eher selten.
Ein weiterer Vorteil von Centern an der Dreierlinie ist, dass diese meist ohne, oder nur gegen wenig Druck durch den Verteidiger, Pässe relativ ungehindert spielen können. Das erhöht natürlich die Passgenauigkeit.
Wir hatten ein System, bei dem beide Center zeitgleich an der Dreierlinie waren, was viel Platz unter dem Korb schaffte. Außerdem stellten wir mit den Centern von da aus Downscreens, bevorzugt gegen Teams, die jeden Block switchten. Nach dem Downscreen hatten wir dann einen Center mit einem kleinen Verteidiger in Korbnähe und einen kleinen Spieler mit einem langen Verteidiger an der Dreierlinie. Also beste Voraussetzungen für einen erfolgreichen Angriff.
Letztlich gibt es immer ein Pro und ein Contra. Man muss als Coach selber abwägen, was man gerne erreichen möchte und welche Risiken man eingehen möchte und welche lieber nicht. Insbesondere wenn es um die Verteidigung von Centern an der Dreierlinie geht.
Martin: Wie habt ihr denn Center an der Dreierlinie verteidigt?
Marco: Wir konnten immer recht druckvoll an der Dreierlinie Center verteidigen, da meine Center meist schneller waren und im Eins gegen Eins nicht so leicht geschlagen werden konnten. Einen Wurf konnten wir somit auch verteidigen. Allerdings waren bei unseren Gegnern die Center nicht so oft an der Dreierlinie wie beispielsweise in der Bundesliga oder anderen Profiligen. Wenn wir wussten, dass der Center keine Dreier werfen kann und somit keine Gefahr von ihm ausgeht, dafür aber auf kleineren Positionen, dann haben sich meine Center auch mal bis in die Zone zurückfallen lassen, um Cuts zu erschweren, sprich Pässe auf Cutter oder sich aufpostende Small-Forwards.
Martin: Und inwiefern muss sich das Training ändern, wenn man plant, Center vermehrt an der Dreierlinie spielen zu lassen?
Marco: Da Center nicht gerade die passsichersten und dribbelsichersten Spieler sind und auch nicht unbedingt die besten Werfer, müssen diese Trainingsanteile stark erhöht werden. Je nach Kenntnisstand des Spielers. Da wir, wie bereits erwähnt, keine richtigen Center hatten, haben unsere Center ohnehin viele, wenngleich auch nicht alle Übungen für Guards mitgemacht. Da unsere Center ohnehin dribbeln können mussten, um den Fastbreak einzuleiten (Bei uns gab es keinen Outletpass. Wer den Ball hatte, hat sofort Druck nach vorne ausgeübt), war es nicht weiter schwer ihnen auch noch das Passen und ein wenig Eins gegen Eins beizubringen. Ob ich das allerdings auch mit, von der Länge her, echten Centern gemacht hätte weiß ich nicht. Da diese sich koordinativ nicht so gut bewegen können, hätte ich da auch nicht einiges an Zeit in dementsprechendes Athletiktraining investieren müssen. Und ich glaube nicht, dass wir dazu die Zeit gehabt hätten.
Martin: Also spielt die Anzahl an Trainingseinheiten ebenfalls eine Rolle bei der Frage wie ich meine Center einsetze?
Marco: Ja, ganz erheblich. Ich kann nicht ein Trainingsprogramm auf die Beine stellen, dass schlussendlich 4 Tage Training pro Woche benötigt, ich aber nur 2 Tage habe. Man sollte nie den Fehler machen und sich übernehmen. Ich hatte auch mal eine Zeit, wo ich alles machen wollte, um für jede Defense ein eigenes System zu haben. Ich musste dann aber nach 3 Monaten Training feststellen, dass wir alles ein bisschen konnten, aber nichts richtig. Es ist viel wichtiger die Dinge, die man machen will, auch wirklich zu können. Wenn dann noch Zeit übrig ist, kann ich in die Breite gehen und z.B. das Repertoire erweitern. Das ist auch ein ganz wichtiger Aspekt bei der Ausbildung von Jugendlichen. Es gibt da noch so viele Sachen, die junge Teams lernen müssen und bevor man alles auf einmal macht, sollte man sich lieber die wichtigsten Aspekte raussuchen und priorisieren. Sicherlich ist es hart gegen ein Team zu verlieren, weil man in der Blockbekämpfung oder etwas anderem noch nicht so weit ist, aber es bringt ja auch nichts, nun auf die Schnelle damit zu beginnen und im Schnellverfahren das Team durch das Thema durchzuprügeln, nur weil man gerne im Rückspiel gewinnen möchte. Man sollte da seinem roten Faden treu bleiben, auch wenn es manchmal schwer fällt.
Martin: Wo du schon mal die Jugend ansprichst, da möchte ich die Gelegenheit doch mal nutzen und noch eine Frage dazu stellen. Macht es Sinn, Spielern in der Jugend, die höchstwahrscheinlich in Regionen eines Centers wachsen, schon speziell daraufhin auszubilden?
Marco: Also wenn man den Worten von Herrn Bauermann zu diesem Thema lauscht, dann betont er ja immer wieder, dass eine positionsbezogene Ausbildung in der Jugend nicht stattfinden soll. Stattdessen sollen alle Spieler generalistisch ausgebildet werden. Für die meisten ist das gleichzusetzen mit: „Ich lasse einfach alle korbnahen Bewegungen, Centermoves usw. weg und dann mache ich alles richtig“. Ich sehe das anders. Sicherlich sollte ein 13-jähriger, nur weil er 10 cm länger ist als seine Mit- oder Gegenspieler, nicht auf die Centerposition festgenagelt werden. Auf der anderen Seite wird aber jeder Coach diesen Spieler – und sei es nur wegen des Rebounds – immer in Korbnähe einsetzen. Warum sollte man ihm dann nicht zwei oder drei Centerbewegungen mit auf den Weg geben? In einigen Spielen, insbesondere in der Jugend, kommt es immer wieder vor, dass teils signifikante Unterschiede im Körperbau und in der Länge auftreten. Wenn ich also einen kleinen Spieler habe, der von einem noch kleineren Verteidigt wird, dann beordere ich ihn als Coach an den Zonenrand und möchte den Größenvorteil nutzen. Nur lernen die meisten kleinen Spieler überhaupt keine Bewegungen von dieser Position. Daher habe ich das immer so gemacht, dass alle Spielerinnen alle Übungen mitmachen. Und dann gab es zusätzlich noch einen positionsbezogenen und / oder individuellen Part. Es ist immer eine Frage der Gewichtung. Und ich habe immer Wert darauf gelegt, dass bei mir auch die Positionen 1-3 zwei bis drei Centermoves konnten. Damit eben Missmatches auch genutzt werden konnten. Ebenso sollten meine Center auch dribbeln können. Nur, und das ist der entscheidende Punkt, habe ich nicht erwartet, dass ein Shooting-Guard mehr Centermoves beherrscht als die Center. Jeder hat immer sein Spezialgebiet und ist darin besser als die anderen. So muss es auch sein, damit sich das Team optimal ergänzt. Wenn ich jemanden habe, der exzellent Blöcke stellen kann, dann wird er das sicherlich mehr trainieren als etwas anderes. Und ich werde ihn das auch weiterhin machen lassen, denn er ist der Beste in meinem Team. Ich lasse ja auch die besten Leute werfen und nicht unbedingt jeden. Dass das in der Jugend sicherlich nicht so krass gehandhabt wird ist mir auch klar. Aber sind wir doch mal ehrlich. Wir wollen die Spiele gewinnen und deswegen stehen ja auch vermehrt diejenigen auf dem Feld, die dieses Ziel erreichen können. Daher sollte jeder alles machen und das, was er am Besten kann oder was seiner Rolle entspricht, eben noch mehr.
Martin: Wenn wir uns nun mal die Bundesliga ansehen, dann hat jedes Team mittlerweile einen Center, der auch Dreier werfen kann. Viele Spieler wie Robin Benzing oder auch Jan Jagla werfen regelmäßig Dreier. Ist das nur ein Trend oder eine langfristige, bleibende Entwicklung im Basketball?
Marco: Das ist schwer zu sagen. Ich möchte aber folgendes dazu sagen. Egal ob Trend oder langfristige Entwicklung, kann ich dem momentan nicht viel Gutes abgewinnen. Man hat es ja an der deutschen Nationalmannschaft gesehen. Nur wenn die Dreierquote stimmte, dann war das Team überhaupt in der Lage ein Spiel zu gewinnen. Dreier werfen ist bequem und wenn man mal nicht trifft, dann wird eben so lange weiterprobiert bis das Spiel vorbei ist, man nicht mehr gewinnen kann oder sonst was eintritt. Es ist schwer Dreipunktewürfe als festen Bestandteil seiner Offense zu haben und trotzdem noch umschalten zu können zu anderen Möglichkeiten, wenn die Dreier eben mal nicht fallen. Denn dann heißt es, sich „altmodische“ Dreipunktspiele mit dem Drive zum Korb inkl. Foul zu erarbeiten. Und das ist erheblich anstrengender als einen freien Dreier rauszuspielen. Ich finde es auch immer wieder bemerkenswert was die Moderatoren erzählen, wenn die deutsche Nationalmannschaft spielt und Hamann den Ball hat. Es vergeht nicht ein Spiel, in dem nicht erwähnt wird (meist mehrmals), dass Dreier nicht seine Stärke sind. Gut, man könnte anderes erwarten von einem Spieler, der auf der Point-Guard Position spielt, aber sei es drum. Er hat einen guten Drive zu Korb, den man leider viel zu selten sieht. Er geht da hin, wo es weh tut und pendelt nicht nur an der Dreierlinie herum und so etwas braucht ein Team auch. Mehrere davon. Wenn Benzing und Co. keine Dreier treffen, dann sehe ich sie nicht ihre Punkte anders hart erarbeiten. Es wird einfach weiter geworfen. Ich finde auch nicht, dass das Spiel ansehnlicher geworden ist, nur weil Jagla einen Dreier trifft. Ich finde es viel schöner anzusehen und auch effektiver, wenn Chris Ensminger oder auch A. Nadjfeji ihre Punkte am Korb durch starke Bewegungen erzielen. Center / Power Forwards wie Jagla haben sich wissentlich oder unwissentlich auf die „Center an der Dreierlinie“-Masche festnageln lassen und wenn sie nun nicht treffen, dann sitzen sie auf der Bank. Sie haben völlig vergessen, dass man auch Punkte am Korb erzielen kann und wahrscheinlich auch zu viele Dreier trainiert und zu wenig ihre positionsspezifischen Übungen absolviert. Ich habe auch einen Tibor Pleiß noch nie einen richtigen Centermove machen sehen, stattdessen pendelt er für Pick & Rolls an der Dreierlinie herum. Und diese Entwicklung sehe ich bei der Entwicklung der Center in den vergangenen Jahren als die ganz große Kehrseite der Medaille an.
Es ist sicherlich insgesamt vorteilhaft zu sehen, dass das Spiel schneller geworden ist und jeder Spieler athletischer, aber man sollte darüber hinaus nicht vergessen, welche Rolle man hat. Denn auch wenn das Spiel sich verändert hat, so gibt es immer noch Rebounds, Drives zum Korb usw. Die wird es auch immer geben, egal wie viele Center irgendwann an der Dreierlinie rumtingeln. Die Frage ist nur, wie viel man von den einzelnen Möglichkeiten, die der Sport Basketball bietet, gebrauch machen möchte. Und das muss jeder für sich selber beantworten.
Martin: Das war doch ein schöner Schlusssatz. Ich bedanke mich bei dir für das Interview und wir sehen uns dann in einem Monat wieder.
Marco: Ich danke auch und bin gespannt, worüber wir als nächstes reden werden.