Das heutige Thema der monatlich erscheinenden Interviewreihe heißt „Schiedsrichter –Bestandteil des Spiels“. Kein Spiel kann ohne sie stattfinden. Trotzdem wünscht man sich ab und zu mal, dass es andere oder keine gäbe. Sie leiten das Spiel und geben manchmal Anlass zur Diskussion. Wir wollen heute den Umgang mit Schiedsrichtern und ihre Bedeutung für das Spiel und die Teams genauer beleuchten.
Martin: Hallo Marco. Das Thema “Schiedsrichter” hat nicht unbedingt primär eine Bedeutung für Coaches, aber sie gehören ja ohne Zweifel zum Spiel dazu. Ich starte mal mit einer sehr allgemeinen Frage. Welche Bedeutung haben Schiedsrichter, sprich welche Aufgaben sollen Schiedsrichter wahrnehmen?
Marco: Hallo Martin. Es wird ja immer davon gesprochen, dass Schiedsrichter ein Basketballspiel leiten sollen. Das mag nun etwas pedantisch sein, aber ich bin nicht der Meinung, dass Schiedsrichter ein Spiel leiten sollen, sondern begleiten. Das Wort „leiten“ impliziert immer eine große Einflussnahme. Es bedeutet, dass etwas in bestimmte Bahnen gelenkt werden kann oder soll. Und genau das sollen Schiedsrichter nicht machen. Sie sollen ein Spiel nur begleiten, nicht leiten. Zu der wichtigsten Aufgabe eines Schiedsrichters gehört ohne Zweifel das Einhalten und Durchsetzen der Regeln. Das sehe ich mit Abstand auch als wichtigsten Punkt an. Vieles andere, mit dem sich Schiedsrichter neuerdings beschäftigen, sehe ich als stark untergeordnet oder auch unwichtig an. Beispielsweise, dass „Verkaufen von Pfiffen“ oder so genannte „Kompromisspfiffe“. Aber ich denke dazu werden wir wohl später noch kommen.
Martin: Ja (guckt auf seinem Zettel nach). Das stimmt. In den letzten Jahren, so habe ich das Gefühl, ist es immer schwieriger Schiedsrichter zu stellen, weil es keiner machen möchte. Dementsprechend trifft man in den unteren Ligen immer wieder auf Schiedsrichter, die den Job nur machen, damit es kein Strafgeld für den Verein gibt. Ich formuliere mal folgende These: „Aufgrund eben beschriebener Entwicklung ist das Niveau bei den Schiedsrichtern ständig gesunken.“
Marco: Zunächst muss ich gestehen, dass ich noch nie unterhalb der Oberliga gecoacht habe und auch in der Oberliga nur drei Jahre. Aber grundsätzlich stimme ich dir zu. Schiedsrichter zu sein ist auch oftmals ein undankbarer Job. Ich würde auch nicht gerne an einem Sonntagmorgen Herren Kreisklasse pfeifen wollen und bei jedem Pfiff zu hören bekommen, warum der denn angeblich falsch war. Das gilt sicherlich nicht grundsätzlich. Ich möchte da jetzt auch keiner Liga zu Nahe treten, aber ein erhöhter Redebedarf und eine niedrige Akzeptanz gegenüber den Schiedsrichtern ist in unteren Ligen nicht von der Hand zu weisen.
Martin: Was kannst du denn über das Niveau der Schiedsrichter in der Regionalliga berichten?
Marco: Zunächst einmal möchte ich sagen, dass es überall gute und schlechte Schiedsrichter gibt. So auch in den Regionalligen. Gemessen an dem Niveau der Schiedsrichter in unteren Ligen sind die Schiedsrichter auch besser, aber manchmal werden sie einem Spiel in der Regionalliga nicht gerecht. Das liegt unter anderem daran, dass alle halbwegs talentierten, jungen Schiedsrichter sofort nach oben gezogen werden und im Prinzip gar keine Zeit haben, ausreichende Erfahrungen zu sammeln und zum Anderen, dass es insgesamt auch hier schwerer wird, die Schiedsrichter-Kader zu füllen. So bleibt auch mal der ein oder andere Schiedsrichter im RLN-Kader, obwohl er nicht die geforderte Leistung bringt. Auch konnte ich beobachten, dass das Leistungsgefälle innerhalb des RLN-Kaders der Schiedsrichter in den letzten Jahren zugenommen hat.
Martin: Ok, dann komme ich so langsam mal zu den eher praxisbezogenen Fragen. Wenn ich nun mit einem Pfiff nicht einverstanden bin, wie kann ich nun auf bestem Wege meinem Unmut Luft machen?
Marco: Wenn man als Coach seinem Unmut Luft machen möchte, dann denke ich mal wird das eine sehr emotionale Reaktion sein. Das sollte gegenüber einem Schiedsrichter vermieden werden. Wenn man mit einem Pfiff nicht einverstanden ist, dann sollte man die nächstbeste Gelegenheit abwarten, z.B. Freiwürfe, wo der eine Schiedsrichter meist sehr nah bei der Coaching-Area steht und dann mit ihm reden. Oder eben auch in der Situation, in der z.B. ein Foul gepfiffen wurde, mit dem man nicht einverstanden ist, den Schiedsrichter fragen, was er da gesehen hat. Es kann ja auch immer sein, dass der Schiedsrichter es aufgrund seiner Position anders gesehen hat als der Coach, der ja meist weiter entfernt vom Geschehen steht. Was man auf keinen Fall machen sollte, ist die Diskussion oder Anfrage so aufzubauen, als könne oder würde er den Pfiff zurücknehmen. Immerhin ist es eine Tatsachenentscheidung und die wird kein Schiedsrichter zurücknehmen. Man sollte das Gespräch so aufbauen, dass man seine Bedenken oder seine Sicht kurz und knapp in einem ruhigem Ton vorbringt, so dass der Schiedsrichter darüber nachdenken kann und dann im Verlaufe des Spiels vielleicht auf das Eine oder Andere mehr achtet. Der Punkt, etwas kurz und mit ruhigem Ton vorzubringen, ist sicherlich einer der Schwersten, aber da muss man sich als Coach am Riemen reißen. Wer meint, er könne Schiedsrichter zum Umdenken bewegen, indem er an der Linie „den Affen“ macht oder jeden Pfiff kommentiert, der befindet sich auf dem Holzweg. Ich selber habe die Kommunikation mit den Schiedsrichtern auf ein Mindestmaß reduziert. Sie sind schließlich zum Pfeifen da und nicht für Regelkunde oder Ähnliches. Auch habe ich nicht beim ersten Fehler gleich was gesagt. Meist zeigt sich, dass Pfiffe, die offensichtlich ein Fehler waren, ohnehin nicht wieder passieren. Und wenn es sich um einen Fehler handelt, dann muss das Schiedsrichtergespann die Entscheidung dennoch vertreten, auch wenn sie wissen, dass der letzte Pfiff murks war.
Nach ein paar Jahren in der Regionalliga kannte ich die meisten Schiedsrichter und sie mich. Mit Einigen konnte ich dann auch non-verbal das Wichtigste kommunizieren. Wenn da z.B. ein Pfiff war, der meines Erachtens nicht korrekt war und ich den Schiedsrichter dann fragend ansah, dann hat der z.B. deutlich genickt und damit signalisiert, dass der Pfiff genau so auch gemeint war. Ein Augenzwinkern oder leichtes, schnelles Kopfschütteln bedeutete hingegen, dass ich den Pfiff vergessen soll. So kann man sehr schnell und ohne das Spiel zu stören Klarheit schaffen.
Martin: Und wie war das bei deinen Spielerinnen? Haben die auch mit den Schiedsrichtern gesprochen, wenn sie der Meinung waren, ungerecht behandelt worden zu sein?
Marco: Ganz klar nein. Das haben sie nicht gemacht und durften es auch nicht. Hätte ich das dem Team freigestellt, dann wäre das ein Freifahrtschein für jeden einzelnen gewesen und es wären massenhaft Diskussionen aufgetreten. Das bringt nichts und nervt die Schiedsrichter auch nur. Und letztlich erwarte ich von denen, dass sie sich auch auf das Spiel konzentrieren. Das geht aber nicht, wenn sie sich ständig mit Spielern oder Spielerinnen auf dem Feld auseinander setzen müssen. Die Spieler haben sich bei mir beschwert und ich habe dann überlegt, wie wichtig das ist und wie ich das vorbringe. Meist habe ich dann in der Halbzeitpause, wenn die Schiedsrichter aus der Umkleide zurückkamen, kurz mit ihnen gesprochen oder eben mal in einer Viertelpause. Mein Team hatte in den zehn Jahren nur zwei technische Fouls und das lag auch daran, dass keiner von den Aktiven auf dem Feld mit den Schiedsrichtern geredet hat. So konnten auch keine Diskussionen eskalieren und jeder konnte sich weiter auf das Spiel konzentrieren.
Martin: Wie muss denn ein Schiedsrichter optimalerweise für dich sein?
Marco: Das ist ganz einfach. Er soll das Pfeifen, was er sieht und was passiert ist und die Regeln nicht neu für sich definieren oder gewichten. Ansonsten soll er sich im Hintergrund halten und einfach nur das Spiel begleiten. Eine gewisse Kommunikationsbereitschaft ist natürlich unabdingbar. Das kann man nun natürlich noch bis ins kleinste Detail runterbrechen, aber im Großen und Ganzen ist es das, was ich erwarte.
Martin: Und welche Erfahrungen konntest du machen, die dein obiges Bild von einem optimalen Schiedsrichter nicht nachkamen?
Marco: Ich zähle einfach mal ein paar typische Situationen auf. Ein Spieler steht nach Beendigung des Dribblings dicht an der Seitenlinie und wird hart verteidigt. Dabei schubst der Verteidiger den Spieler mit Ball ins Aus. Vielleicht auch nur aus Übermut. Das spielt keine Rolle. Nun kommt der Kompromisspfiff: Einwurf für das Team, dass vorher in Ballbesitz war. Der Schiedsrichter hätte eigentlich das Foul pfeifen müssen, aber da es sich um ein „leichtes“ Foul handelte, entscheidet er auf Einwurf und das war’s. Sicherlich ist es ärgerlich ein Foul für eine Kleinigkeit zu bekommen, aber entweder der Kontakt war regelgerecht, dann heißt es Einwurf für das andere Team, oder eben der Kontakt war nicht regelgerecht. Dann ist es ein Foul und Einwurf für das Team in Ballbesitz. Das Problem bei solchen Sachen ist, wann beginnt denn eine Situation, wo ein Foul nicht mehr ein „leichtes“ Foul war und somit keinen Kompromisspfiff mehr rechtfertigt? Da das rein subjektiv ist, könnte jeder Schiedsrichter anders entscheiden und dann bräuchte es keine Regeln mehr geben.
Ein weiteres Problem habe ich, zum besseren Verständnis, mal skizziert. O2 befindet sich noch im Bereich des oberen Schiedsrichters und der untere Schiedsrichter müsste eigentlich abseits des Balles gucken, um z.B. die Helpside beurteilen zu können. Die meisten Schiedsrichter sind aber sehr „ballverliebt“ und schauen bereits jetzt zum Ball. O2 schlägt nun einen Verteidiger und geht direkt zum Korb, dort springt er in die Helpside, hier X5, rein. Die wenigsten Schiedsrichter können hier sagen, ob X5 rechtzeitig stand und es sich um ein Offensivfoul handelt oder ob X5 noch in der Vorwärtsbewegung war und es damit ein Verteidigerfoul war. Meist sehen sie nur im Augenwinkel, dass sich die Helpside bewegt, können aber nicht mit Sicherheit sagen, wann sie zum Stehen gekommen ist. Klar sind das meist knappe Entscheidungen, aber eben auch sehr wichtige.
Ein anderes schönes Beispiel ist der Fastbreak. Es gibt doch immer wieder Schiedsrichter, die sich beim Fastbreak nicht vor dem Ball befinden, sondern nur auf gleicher Höhe mitlaufen. Auf Höhe des Korbes kommt dann ein Pfiff von einem Schiedsrichter, der eigentlich nichts sehen konnte. Da jeder Schiedsrichter weiß, dass er auf Nachfrage eines Coaches den Pfiff nicht erklären kann, bedienen diese sich eines Tricks. Während sie den Pfiff nehmen, laufen sie noch 3-4 Meter weiter und bleiben dann erst stehen. Dann sieht es nämlich so aus, als wären sie nicht nur vor dem Ball zum Stehen gekommen, sondern auch zum Zeitpunkt des Pfiffes vor dem Ball gewesen und können dann argumentieren, dass sie aufgrund ihrer Position vor dem Ball alles sehen konnten.
Zwei weitere Klassiker möchte ich noch nennen. Einmal der relativ häufig auftretende Schrittfehler bei Shooting Guards, die erst den Ball fangen und dann in den Ansprung gehen, statt in den Ansprung zu gehen, den Ball in der Luft zu fangen und dann erst aufkommen.
Dies wird fast gar nicht gepfiffen und ist immer regelwidrig.
Der zweite Klassiker ist der Center im Mid-Post, der sich dribbelnderweise mit dem Rücken voran gegen den Verteidiger langsam zum Korb schiebt und sich nach ca. 2-3 Dribblings zum Korb eindreht, dabei mit der Schulter in die Defense geht und die Defense die Schulter meist in den Magen oder auf dem Solarplexus zu spüren bekommt. Folgerichtig wird der Verteidiger sich nach vorne krümmen und damit mit seinem hoch ausgestreckten Armen in den Zylinder des Angreifers geraten. Dieser geht nun zum Wurf hoch, wird von den Armen des Verteidigers behindert und bekommt das Foul zugesprochen.
Letzteres zeigt ganz stark das Zusammenspiel von Aktion und Reaktion und oftmals verpassen es die Schiedsrichter, die Aktion zu sehen und zu pfeifen und dann wird die Reaktion bestraft.
Martin: Ich sehe schon. Du hast dich mit dem Thema Schiedsrichter in deiner Laufbahn als Coach schon näher auseinandergesetzt. Wenn ich nun ein Jugendteam coache, muss ich dann genauso viel auf die Schiedsrichter achten wie bei einem Seniorenteam?
Marco: Ich denke, dass das ganz stark vom Leistungsgedanken abhängt. Wenn ich nun ein JBBL Team coache, dann erwarte ich auch Schiedsrichter, die wissen, was sie da machen. In einer U14 offenen Runde muss man da sicherlich Abstriche machen. Ich kann nur jedem Coach empfehlen seinen Kids auch die Basketballregeln beizubringen. Das ist in unserem Sport ja nicht ganz so trivial wie bei anderen Sportarten. Dann lassen sich schon einige Missverständnisse vermeiden.
Martin: Hast du dein Team auf Schiedsrichter vorbereitet oder vor dem Spiel etwas zu denen gesagt?
Marco: Ja, habe ich teilweise. Wir kannten ja irgendwann die Meisten und wussten, was die für „Macken“ haben. Darauf habe ich dann noch mal kurz vor dem Spiel hingewiesen. Es ist meinem Team leichter gefallen zu spielen, wenn es wusste, was einen erwartet und nicht das große Wundern über die Pfiffe im ersten Viertel beginnt, die da genommen werden. Eine Ausnahme bilden die ersten 4-5 Spiele, wo die Schiedsrichter noch penetrant versuchen, ihre Vorgaben umzusetzen, die teilweise wirklich sehr rätselhaft waren. Daran sieht man auch den Mangel an Austausch zwischen Schiedsrichtern und Coaches.
Martin: Sollte es da mehr oder überhaupt Austausch geben?
Marco: Ja, meines Erachtens sollte es Pflicht sein, auch immer Coaches zu Schiedsrichterfortbildungen einzuladen, die ihre Sicht der Dinge schildern können. Aber da kommen wir zu einem anderen Problem. Während die Schiedsrichter, Vereine, Verbände usw. organisiert sind, gibt es keine Organisation der Coaches, die deren Interessen vertritt und z.B. Coaches zu Schiedsrichterlehrgängen schickt, um dort zu referieren.
Denn, man darf nicht vergessen: Ein Coach verbringt schätzungsweise 3-4 mal soviel Zeit mit Basketball wie ein Schiedsrichter. Während ich 4 Mal die Woche in der Halle stand und mein Team auf die neue Saison vorbereitet habe, hatten die Schiedsrichter vielleicht 16 Std. Fortbildung und das war’s. Engagierte haben dann vielleicht noch auf Turnieren gepfiffen, aber es gibt auch viele, die stehen dann zum Beginn der Saison das erste Mal seit langem wieder in der Halle.
Martin: Ich danke dir für das interessante Gespräch und freue mich auf die nächste Runde.
Marco: Ich danke auch und freue mich auf das nächste Interview.